2 Die Entstehung des Liberalismus

2.8 Wilhelm II. und sein "Neuer Kurs"

Mit dem Dreikaiserjahr 1888 übernahm Wilhelms Enkel Wilhelm II. nach dem Tod seines Großvaters und kurz darauf seines todkranken Vaters die Regierungsführung. Jung, aufstrebend, unbeherrscht, selbstsicher und ehrgeizig, doch zugleich ungemein undiplomatisch, geriet dieser bald in Streitigkeiten zu Bismarck, welcher daraufhin 1890 mehr oder weniger erzwungenerweise abdankte. Während Bismarck ja stets eine betont friedliche Politik geführt hatte und in Bezug auf die Kolonien verkündet hatte, sein Afrika läge in Europa, prahlte Wilhelm II.: "Ich führe euch goldenen Zeiten entgegen!" Er wollte für Deutschland einen "Platz an der Sonne" erkämpfen, mehr Kolonien erringen – welche nicht nur für den Handel förderlich, sondern auch sehr geeignet waren, um von innenpolitischen Problemen abzulenken – und Bismarcks kompliziertes Bündnissystem entwirren, um überschaubare Verhältnisse zu schaffen. Dabei kalkulierte er den Ernstfall Krieg bereits mit ein. Denn besondere Kennzeichen seiner Politik waren Unüberlegtheit und Undiplomatie – einerseits wollte Wilhelm sich statt an Russland mehr an Großbritannien annähern – doch dieses verärgerte er sowohl durch sein Flottenaufbauprogramm, welches von England natürlich als Bedrohung empfunden wurde, als auch später durch den Bau der Bagdadbahn in der Türkei gründlich. Ein 1904 von Großbritannien aufgrund eines Konfliktes mit Frankreich gemachtes Bündnisangebot nahm Wilhelm zu zögerlich an, weil er auf ein besseres Angebot hoffte. Inzwischen waren England und Frankreich jedoch bereits zu einer Einigung gekommen und hatten sich zur Entente cordiale zusammengeschlossen. Damit war die Chance vertan. Die zunehmende Militarisierung Deutschlands wurde vom Bürgertum bereitwillig unterstützt. Für die übrigen europäischen Mächte galt Deutschland - in Überschätzung der militärischen Stärke des Reiches - als "Unruhestifter".

Auch der Rückversicherungsvertrag zu Russland wurde 1890 trotz günstiger Konditionen – Russland hatte offenbar großes Interesse daran – nicht erneuert. Stattdessen nutzte Frankreich die Chance zum ersten Schritt aus der Isolation und schloss seinerseits 1894 einen Zweibund mit Russland.

Als Frankreich 1907 der Entente cordiale beitrat und diese damit zur Triple Entente erweitert wurde, waren in Europa zwei Machtblöcke entstanden – ein französisch-englisch-russischer und ein deutsch-österreichisch-italienischer – und Deutschland befand sich in einer Situation, auf deren Vermeidung Bismarcks gesamte Außenpolitik nach 1871 gezielt hatte – es stand isoliert zwischen zwei Fronten.

Allerdings muss gesagt werden, dass nicht nur Wilhelm II. bereitwillig einen Krieg in Kauf nahm, sondern auch die übrigen europäischen Mächte mehr oder weniger nichts zu dessen Vermeidung getan hatten, weil sie auf territorialen Neugewinn hofften.

Bündnissysteme Thema 3: Weimarer Republik

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